Beitrag aus „Journal aus Rheinland-Pfalz” vom 7.2.2006, swr2
zur Ausstellung von Susanne Neiß - anderswo 
				von Thomas Rath 
                    Moderatorin: 
					Das Wesen der Fotografie besteht darin, dass das Objekt mit der Kamera auf bestimmte 
					Art und Weise festgehalten wird. Wie das geschieht, ist das Ergebnis eines ästhetisch 
					schöpferischen Prozesses und hängt natürlich vom fotografierenden Subjekt ab.
				
Der aus Worms stammenden, jungen Fotgrafin Susanne Neiß geht es beim Akt des Fotografierens eben gerade nicht um einen möglichen Wiedererkennungseffekt dessen, was sie mit der Kamera einfängt. Statt die vertrauten Sehgewohnheiten zu bedienen, versucht sie mit ihren Arbeiten scheinbar belanglose Details in den Vordergrund zu stellen, farbige Wäscheklammern etwa oder ein Metallrollo. Verfremdung und Lichteinsatz, das sind die wesentlichen Stilelemente der Künstlerin, deren Arbeiten zur Zeit in der Galerie ”Junge Kunst” in Trier zu sehen sind. Titel der Ausstellung „anderswo”.
					Thomas Rath: 
					Das Foto wirkt verstörend, wo ist oben, wo ist unten, was ist nah, was ist fern? Woher 
					kommt dieses schlierige verblassene Grün? Auf 85 x 130 cm konfrontiert die 2003 in 
					Barcelona entstandene Arbeit von Susanne Neiß den Betrachter mit vielen Fragen. 
					Erst allmählich treten Konturen hervor, die etwas Klarheit verschaffen. Das 
					Astgerippe eines Baumes etwa oder Elemente von Architektur, und so etwas wie 
					Sinnzusammenhang und Komposition beginnen sich zu erschließen. Wenn der 
					Betrachter sich, fast gezwungenermaßen zunächst mehr intuitiv als mit 
					bewußter Analyse, dem Bild genähert hat, ist das kein Zufall, sonder entspricht 
					vielmehr der Vorgehensweise der Künstlerin.
				
					Susanne Neiß: 
					Ich glaube, dass ich intuitiv etwas anderes finde, als bewußt. Was ich intuitiv 
					entdecke, erscheint mir einfach interessanter. Das Bewußtsein setzt oft danach 
					ein. Ich frage mich dann, was habe ich da für ein Bild aufgenommen - was habe ich 
					da für ein Bild gefunden, und dann kommt danach etwas - ein Prozeß, aber das 
					dauert oft sehr lange.
				
					Thomas Rath: 
					Und damit setzt der zweite Arbeitsschritt ein. Aus den 2, 3, 4 Diafilmen in 
					Kleinbildformat, welche die Fotografin auf ein Bild verwendet hat, wählt sie 
					diejenigen Aufnahmen aus, die ihrer Vorstellung am nächsten kommen, bearbeitet 
					sie geringfügig und übergibt sie zur Herstellung eines großen Papierabzugs 
					einem Fachlabor. Ein eigenwilliger Prozeß, bei dem der Focus weitgehend auf 
					das Finden gerichtet ist. Für diese hat die Künstlerin im Laufe der Jahre 
					ein elemtares Gespür entwickelt. Da ist die Aufnahme eines in Wirklichkeit 
					wohl höchst unspektakulären Innenrollos, durch welches warmes Licht der 
					tiefstehenden Sonne hereinbricht. Susanne Neiß hat daraus ein vibrierendes 
					Inferno von Laserstrahlen gezaubert, einen Feuerregen warm-rotgelben Lichtes. 
					
					Ebenfalls in Rottönen der kaum zu erkennende Schatten eines Baumes, der auf braunem 
					Holzgrund wie der brennende Dornbusch in der Wüste wirkt. 
				
					Susanne Neiß: 
					Das ist mir ins Auge gefallen, als ich mit dem Bus durch Barcelona fuhr, und das 
					hat für mich so extrem geleuchtet, in einer so extremen Farbe, dass ich dachte, 
					da muß ich zurück, und ich bin am nächsten Tag zur genau gleichen Uhrzeit, 
					bei Sonnenuntergang, hingefahren und habe es so aufgenommen.
				
					Thomas Rath: 
					Allen Werken der kleinen Schau in der Galerie für junge Kunst ist zweierlei 
					gemeinsam: 1.Das Format und 2. eine ganz besondere Beziehung zu jenem Element, 
					ohne welches nicht nur Fotografie undenkbar wäre.
				
					Susanne Neiß: 
					Licht ist mir extrem wichtig, nicht nur in der Kunst, sondern überhaupt in meinem 
					Leben. Ich orientiere mich extrem nach dem Licht, nach der Sonne, und 
					dementsprechend finde ich dann meistens etwas. Bei Licht hält es mich kaum 
					in geschlossenen Räumen, ich muss dann raus und dann springt mir etwas ins Auge.
				
					Thomas Rath: 
					Eine Affinität und Nähe zum Impressionismus ist da keinesfalls zufällig, genauso 
					wenig wie die Studienaufenthalte der Künstlerin ausgerechnet in Spanien und 
					Südfrankreich. Wie ein Archäologe mit seinem Metalldetektor sucht Susanne 
					Neiß mit nichts als dem Auge jene kleine Kostbarkeiten, welche in der Regel 
					übersehen werden. Sie übernimmt sie oft mit kleinster Blende oder etwas 
					verwackelt auf den Film und verhilft ihnen so zu einem Auftritt von solcher 
					Schönheit und Größe, dass sich dem wohl kein Betrachter zu entziehen vermag. 
					
					Und wer einmal in den Bann dieser Arbeiten geraten ist, dessen eigenes Sehen wird 
					schwerlich davon unbeeinflusst bleiben.